Tobias Weihrauch, der erfundene Grüne

Der Beitrag des erfundenen Grünen-Mitglieds
Ein Screenshot des Beitrags des erfundenen Grünen-Mitglieds (Quelle)

Auf Facebook, aber auch in anderen sozialen Netzwerken sowie in rechten Blogs und Online-Medien wird zur Zeit ein Facebook-Beitrag herumgereicht, in dem ein angebliches Mitglied von Bündnis 90 / Die Grünen am Mittwochmittag (9.11.2016) forderte, vor der Bundestagswahl 2017 noch möglichst viele Asylsuchende nach Deutschland zu holen, da nur so ein Wahlsieg der AFD und damit ein neues Drittes Reich zu verhindern sei. Der Beitrag liest sich wie folgt:

„Meine Freunde, Trumps Wahlsieg hat gezeigt, dass Rechtspopulismus sich durchsetzt. Genau so wird es auch 2017 in Deutschland passieren. Die AFD wird Stimmen sammeln. Wir müssen bis zur nächsten Wahl unser Bestes geben und so viele Afrikaner und Syrer wie möglich in unser Land holen! Leider werden immer mehr Gewalttaten von Flüchlingen publiziert, da die Medien nicht mehr mit uns zusammenarbeiten. Daher fordere ich alle Grünen dazu auf Flüchtlinge zu unterstützen egal wie intigrationswillig oder kriminel sie sind. Wir haben nicht mehr lange Zeit, bis das dritte Reich zurückkehrt!“ [Fehler im Original]

Doch wer auch immer den Beitrag verfasst hat – wahrscheinlich heißt er weder Tobias Weihrauch noch ist er Mitglied der Grünen. Auf Twitter teilte der für die Parteiöffentlichkeitsarbeit der Grünen zuständige Robert Heinrich mit: „Nach Aussage unserer Mitgliederverwaltung gibt es dieses grüne Mitglied Tobias Weihrauch nicht.“ Auf unsere Nachfrage bei der Bundespressestelle der Grünen wurde uns die Richtigkeit dieser Aussage noch einmal von Sprecherin Julia Jorch bestätigt: „Dieser Mensch ist laut unserer Mitgliederdatenbank nicht Mitglied unserer Partei.“

Auch das verwendete Profilbild des mittlerweile gelöschten Facebook-Profils stellt sich als Fake heraus. Es handelt sich um ein Bild, das den hessischen Fotografen Hauke J. zeigt. Um eine Rückwärts-Bildersuche über Google zu erschweren, wurde jedoch nicht einfach das Originalbild verwendet, sondern dessen horizontale Spiegelung. Offensichtlich wollte hier jemand nicht, dass sich das Profil sofort als Fälschung herausstellt. Hauke J. bestätigte uns, dass das Bild ohne sein Wissen oder sein Einverständnis für das Facebook-Profil verwendet wurde.

Der gefälschte Originalbeitrag wurde auf Facebook über 2200 mal geteilt, erstaunlicherweise aber nur zweimal kommentiert. Zugleich wurde eine Reihe von Screenshots des Beitrags auf Facebook verbreitet. Allein ein Beitrag von Ignaz Bearth, dem früheren Sprecher von PEGIDA Schweiz und derzeitigen Präsidenten der Kleinpartei „Direktdemokratische Partei Schweiz“, wurde mehr als 1.000 mal weiterverbreitet. Doch auch auf vielen weiteren Facebook-Seiten, darunter rechte Bewegungen und Parteien, sind die Screenshots zu finden. Das Thema wurde auch in rechten Blogs und Online-Medien wie no-zensur.de, Hartgeld, Politikstube  oder Compact aufgegriffen. Und auch Journalisten fielen auf die Fälschung herein. So teilte z.B. der Leiter des BILD-Parlamentsbüros Ralf Schuler den Screenshot zeitweilig auf seinem Twitter-Profil.

Letztlich stellt sich die Frage, ob sich ein relevanter Teil der Genannten überhaupt dafür interessiert, ob Beitrag und Profil nun echt waren oder nicht. Auf der rechten Website „Preussischer Anzeiger“ kann man in einem Beitrag zur angeblichen grünen Forderung lesen: „Dabei ist es egal, ob dies ein „Fakeprofil“ ist, denn es zeigt die Grundideologie der Elite, die den Völkeraustausch seit Jahren organisiert.“ In der Auseinandersetzung um Flucht und Migration interessieren sich einige Ankläger der „Lügenpresse“ überhaupt nicht mehr für die Realität. Ganz im Sinne postfaktischer Politik werden Beiträge unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt verbreitet, um damit in den Diskurs einzugreifen.

Wer sich übrigens dafür interessiert, wie man bei den Grünen auf den Fake aufmerksam geworden ist, kann beim Landesvorsitzenden der Grünen Jugend Hessen Thorben Sämann weiterlesen.

 

Erfundene Supermarktschließung in Bautzen

Am 15. September, einen Tag, nachdem in Bautzen (Sachsen) jugendliche Asylbewerber von Rechten aus der Innenstadt verjagt wurden, postete ein Nutzer unter einem Facebook-Post der „Identitären Bewegung“ einen Kommentar, der eine Reihe von Behauptungen über Fehlverhalten von Asylbewerbern in der sächsischen Kleinstadt aufstellt. Der Kommentar wurde später von mindestens zwei anderen Nutzern als Screenshot auf Twitter gepostet und dort über 400 mal geteilt.

Tweet mit Facebook-Screenhot mit Behauptungen zu Bautzener Asylbewerbern
Über 400 mal auf Twitter geteilt: Der Screenshot eines Facebook-Kommentars, in dem Geflüchteten in Bautzen verschiedenste Fehlverhalten unterstellt werden

Mindestens eine der aufgestellten Behauptungen lässt sich aber ziemlich schnell als Erfindung entlarven. So heißt es, dass die Bautzener Kaufland-Filiale für mehrere Tage hätte schließen müssen, weil sich „eine Gruppe junger Asylsuchender dort wie die Axt im Walde aufgeführt“ hätte. Doch davon weiß man bei Kaufland nichts. Die Pressestelle der Supermarktkette aus Neckarsulm teilte per E-Mail mit, es handele es sich um ein Gerücht, das jeglicher Grundlage entbehre. Das Zustandekommen der Behauptung kann man sich dort nicht erklären. Auch beim Kaufland in Bautzen weiß man am Telefon nicht, wie es zu dieser Behauptung kommt – für die letzten Monate wird ein solcher Fall ausgeschlossen.

Bei der zuständigen Polizeidirektion Görlitz sieht man gar nicht erst die Veranlassung, sich mit „jedem noch so weit hergeholten“ Facebook-Post zu beschäftigen. Und auch die Stadt Bautzen meldet über Twitter ihre Zweifel an und verweist die Schließung ins Reich der Märchen.

Auch bei der Stadt Bautzen ist man sich sicher, dass die vorübergehende Schließung des Kaufland eine Ente ist.
Auch bei der Stadt Bautzen ist man sich sicher, dass die vorübergehende Schließung des Kaufland eine Ente ist