Ein Jahr Hoaxmap

“Hallo Welt! Hoaxmap sammelt Gerüchte und deren Widerlegungen im Zusammenhang mit Geflüchteten.” – mit diesen Worten verkündeten wir in den Abendstunden des 8. Februar 2016 die Veröffentlichung der Hoaxmap. Zu diesem Zeitpunkt versammelte die Karte 176 Gerüchte aus dem deutschsprachigen Raum samt ihren Widerlegungen, sortiert nach Themen, Datum, Ort und Land bzw. Bundesland.

Wir erwarteten zunächst, dass sich nur eine eher kleine Teilöffentlichkeit für das Projekt interessieren würde, die sich ohnehin regelmäßig mit Themen wie Asylpolitik, Rassismus oder auch Medien- und Informationskompetenz auseinandersetzt. Es sollte anders kommen – in den Wochen nach der Veröffentlichung waren wir nach Feierabend und an den Wochenenden pausenlos damit beschäftigt, neue Fälle einzutragen, die NutzerInnen uns mitteilten, und Presseanfragen nicht nur aus dem “Einzugsgebiet” der Karte, sondern aus der ganzen Welt zu beantworten. In anderen Ländern wurde die Hoaxmap-Idee aufgegriffen und in ähnlichen Projekten umgesetzt. Die Karte hatte einen Nerv getroffen. Das zeigte sich nicht zuletzt in der Nominierung für den Grimme Online Award 2016.

Neben dem überwältigenden positiven Feedback blieben auch Negativreaktionen nicht völlig aus. Außer zahlreichen Beschimpfungen und mal mehr, mal minder subtilen Drohungen entwickelte sich ein bunter Strauß an Verschwörungstheorien über die Finanzierung der Karte. Als angebliche Auftraggeber wurden unter anderem die Soros-Foundation, die NATO, das ZDF oder auch Bundeskanzlerin Merkel ausgemacht. Dass die Karte dann auch noch von Bundesjustizminister Heiko Maas oder vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lobend erwähnt wurde, beflügelte erst recht die Gerüchte, staatliche Stellen der Bundesrepublik würde hinter dem Projekt stecken (unseren absoluten Favoriten möchten wir euch nicht vorenthalten: Link). Einige Hater verstiegen sich sogar zu der Behauptung, wir selbst hätten die Gerüchte, deren Widerlegungen auf der Karte zu finden sind, überhaupt erst in die Welt gesetzt.

The question, and the most important one, now remains for me: Who or what is funding this website? Given that both people are well-known refugee “activists” and that Ms. Schwarz has long-standing ties to the German government (as shown above), the answer seems pretty clear: (Bild von Angela Merkel)
Quintessenz einer Verschwörungstheorie auf shoebat.com: Hoaxmap wird von Merkel finanziert! (Die kompletten 10 Euro Hosting-Kosten pro Monat!)

Bei uns bleibt dennoch die Hoffnung, im ersten Jahr unserer Arbeit nicht in erster Linie selbst einen neuen Gegenstand für Spekulationen, sondern vielmehr vor allem ein Werkzeug für die Recherche von Gerüchten und Falschmeldungen sowie einen Beitrag zu einer Debatte geschaffen haben, in der es lange Zeit fast ausschließlich um Strafverschärfungen und Aushöhlungen des Asylrechts ging und in der Geflüchtete nicht als individuelle Menschen, sondern als einheitliche, bedrohliche Gruppe betrachtet wurden. Wir hoffen, wir konnten helfen, den Blick für Falschbehauptungen und Fälschungen im Internet zu schärfen und Menschen zu bewegen, Inhalt und Herkunft von Meldungen stärker zu prüfen, bevor sie sie in sozialen Netzwerken weiterverteilen.

Diagramm mit Fällen pro Monat
Einträge auf der Hoaxmap nach Datum des urpünglichen Geschehens

Auf jeden Fall können wir festhalten, dass Hoaxmap inzwischen eine Institution ist, wenn es um das Thema Falschbehauptungen im Netz geht. Das merken wir auch an den zahlreichen Presseanfragen, die uns in den letzten Wochen im Zuge der Debatte um “Fake News” wieder in verstärkter Form erreicht haben. In dieser Debatte um “Fake News” denkt die Politik nun erstmals über Maßnahmen gegen gefälschte Nachrichten und über rechtliche Konsequenzen für die Verbreiter von Falschbehauptungen nach – im scharfen Gegensatz zur Tatenlosigkeit vor einem Jahr, als PolitikerInnen selbst noch nicht so oft Gegenstand der Falschbehauptungen waren und sie auch noch nicht so sehr um ihre parlamentarischen Stimmanteile fürchteten; im scharfen Gegensatz beispielsweise auch zur Praxis eines Bundesinnenministers Thomas de Maizère, der sich mit zwei unbelegten Behauptungen über Geflüchtete selbst auf der Hoaxmap verewigt hat.

Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen bedanken, die uns bei dem Projekt geholfen und unterstützt haben. Wir bitten um Entschuldigung, wenn wir nicht immer alle Anfragen beantworten konnten – die Arbeit an der Hoaxmap muss bis heute nach dem Feierabend unseres Broterwerbs erfolgen. Wir machen weiter und haben noch viel vor!

 

Was Facebooks neue Fake-News-Initiative für den deutschsprachigen Raum bedeuten würde

tl;dr: erstmal nichts

Facebook hat einige Maßnahmen zum Umgang mit Falschmeldungen angekündigt. Nachdem wochenlang spekuliert wurde, ob diese sich direkt auf die Wahlergebnisse in den USA ausgewirkt haben, war Zuckerberg in Zugzwang geraten. So weit, so nachvollziehbar. Dabei handelt es sich, wie auch die Süddeutsche Zeitung schreibt, um ein Pilotprojekt. Was würden diese Maßnahmen aber für den deutschsprachigen Raum bedeuten?

Melden, melden, melden

Facebook will künftig Nutzern die Möglichkeit geben, Falschmeldungen als solche zu melden. Kurioserweise wurde diese Option in den vergangenen Wochen bereits einmal ausgerollt – auch in der deutschen Sprachausgabe. Inzwischen ist diese Option, zumindest bei mir, wieder verschwunden.

Screenshot vom 12.12.2016

Was mit den Meldungen passiert ist, die bis dahin eingelaufen sind? Man weiß es nicht.

Nun bedeutet eine zusätzliche Option zum Melden aber vor allem eins: Mehraufwand für diejenigen, die diese dann bearbeiten. Und an dieser Stelle hängt es bekanntlich, zum Beispiel im Bereich von Hate Speech, seit geraumer Zeit. Geht man davon aus, dass diese Option auch missbräuchlich benutzt werden wird, dürfte die Voraussetzung für den Erfolg dieser Maßnahme auch die Vergrößerung des entsprechenden Teams sein. Fun fact am Rande: bei Youtube wird ein Video von Justin Bieber deutlich häufiger als unpassend gemeldet als jegliche andere Videos.

Der Algorithmus weiß Bescheid

Facebook will außerdem testen, Artikel, die nach dem Lesen weniger geshared werden, schlechter zu bewerten, denn:

We’ve found that if reading an article makes people significantly less likely to share it, that may be a sign that a story has misled people in some way.

Betrachtet man aber die Anzahl der Interaktionen bei falschen Stories während der heißen Phase des US-Wahlkampfes, ist das allerdings nur die halbe Wahrheit (Buzzfeed hat das im November entsprechend ausgewertet).

Fake News kennzeichnen

Wir erinnern uns: vor zwei Jahren gab es seitens Facebook eine entsprechende Initiative, satirische Meldungen als solche zu kennzeichnen, weil eine beachtliche Zahl von Facebook-Nutzern Inhalte von The Onion oder des Postillon für bare Münze nahmen. Die Maßnahme setzte sich nicht durch.

Als Falschmeldungen bekannte Inhalte sollen auch künftig auf Facebook geteilt werden können – allerdings mit einem Warnhinweis versehen. Facebook arbeitet in diesem Bereich mit Politfact und Snopes zusammenarbeiten. Das könnte in den USA gut funktionieren, beachtet man, dass Fake News dort vor allem über eine Vielzahl mehr (selten auch weniger) dubioser Websites verbreitet werden. Entsprechend können Links zu diesen Seiten geflaggt werden.

In Deutschland dagegen verbreiten sich Falschmeldungen selten auf diesem Wege. Deutschsprachige Websites, die vor allem dazu geschaffen wurden, Falschmeldungen aus politischen oder monetären Gründen in die Welt zu setzen, gibt es – bisher – kaum (eine Ausnahme ist die DIY-Fake-News-Seite 24aktuelles). Hier spielen vor allem vermeintliche Augenzeugenberichte, die als Textposts daherkommen, und Fotos, die in neuen Kontexten verwendet werden eine Rolle. Ebenso werden falsche Zitate in Umlauf gebracht. Diese Meldungen zu flaggen ist ohne entsprechenden Aufwand kaum machbar.

Dementsprechend spielt auch die Initiative Facebooks, finanzielle Anreize zu verringern, zumindest im Bereich der Falschmeldungen erstmal eine untergeordnete Rolle.

Die konkreten Maßnahmen sind also zunächst einmal auf die USA und die spezifische Verbreitungsweise von Falschmeldungen zugeschnitten. Nichtsdestotrotz bleibt spannend, welche Wege Facebook in diesem Bereich geht und künftig gehen wird. Ob es vergleichbare Projekte in weiteren Ländern geben soll und wie das Ganze in Ländern mit unfreien Medien aussehen könnte, bleibt abzuwarten.